Mit dem Hals in den Himmel hinein
Es gab da die Giraffe Ruprecht.
Jung kräftig.
Jeder braune Fleck sitzt genau an der richtigen Stelle. Über sechs Meter erstreckt sich Ruprecht.
Mit seinem langen,
langen,
«Atempause»
langen Hals
überragt er alle Tiere der Savanne.
Ruprecht geniesst das Leben.
Jeder Zweig,
jedes Blatt in der Baumkrone ist ein Genuss und dank seinem gelenkigen Hals erreicht er alles, was er sich nur wünscht.
Ruprecht hat zwei beste Freunde.
Da ist zum einen das Madenhackermädchen Gwendolyn. Jeden Tag kommt sie angeflogen und erzählt Geschichten von der Welt da draussen und natürlich auch vom zweiten besten Freund, dem Büffel Henry.
Die drei Freunde helfen einander. Gwendolyn fliegt und reinigt das Fell der beiden Freunde im Nu. Die Nahrung sitzt auf dem Hals oder in den Ohren
«Ich putze dein Fell und das Jucken hört auf!», singt Gwendolyn vor sich hin
Anschliessend folgt der obligate Satz:
«Bin ich satt!»
Erleichtert und jucklos bedanken sich Henry und Ruprecht.
Alles ist, wie es sein soll.
Der Putzvogel Gwendolyn fliegt zwischen den Freunden hin und her,
Henry suhlt sich am Wasserloch
und
Ruprecht schlängelt sich im Geäst.
Die drei sind Freunde fürs Leben.
Die Jahre vergehen wie im Flug und es kommt der Zeitpunkt, da sich Gwendolyn verabschiedet.
Gwendolyn hat den Flug in den Himmel gebucht.
Henry und Ruprecht sind traurig und winken ihrer Freundin zum Abschied zu, bis sie in den Wolken für immer verschwindet.
Zeit vergeht. Ruprecht beschliesst, zu Henry ans Wasserloch zu ziehen. Gwendolyn ist nicht mehr da, die Geschichten bleiben aus.
Jetzt sitzen beide zusammen am Wasserloch und geniessen das angenehme Leben in der Savanne.
Doch kurze Zeit später muss Ruprecht schon wieder Abschied nehmen. Henry ist in den Bus in Richtung Unendlichkeit eingestiegen.
Der Wasserbüffel winkt seinem besten Freund aus dem offenen Fenster des Busses zu. Henry wird immer kleiner und verschwindet ganz in der endlosen Weite der Savanne.
Einsam und alleine fühlt sich Ruprecht.
Der Abschied ist traurig und doch freut sich Ruprecht auf das Wiedersehen im Himmel.
Kaum hat er das gedacht, da beginnt Ruprechts Hals zu wachsen.
«Was ist denn das!», staunt Ruprecht.
Ruprecht wächst und wächst. Bald ist sein Hals so lang, dass er über den Wolken den Flug der Zugvögel betrachten kann und auch die gelegentlichen Düsenjets.
Aus den Fenstern winken ihm Kinder zu.
Nach einer Woche ist der Hals so lang, dass Ruprecht sich am Morgen auf den Weg zu seinen Beinen macht,
denn es juckt,
und bei Abendrot ist er wieder zurück in den Wolken.
Was für ein Weg!
Ab und zu hat er den Kopf in einer Wolke und ist gefangen im kühlen Nass, das sich immer wieder in einem Gewitter entlädt.
Normalerweise würde Ruprecht jetzt niesen. Doch nichts passiert.
Auch dass er weder Hunger noch Durst hat, bringt Ruprecht mit dem langen Hals ins Grübeln.
Und weiter wächst die Giraffe, bis sie an ein goldenes Tor gelangt.
Jetzt ist Ruprecht am Ziel.
Ruprecht steht vor dem Himmelstor.
Was für eine Offenbarung!
Ruprecht hört auf zu wachsen. Er sitzt auf seiner eigenen Wolke und schwebt durch das Himmelstor.
«Auf in den Himmel mit Gebimmel!», ruft Ruprecht vor Freude.
Was für eine Offenbarung!
Da spielt auf einer Wolke ein Opa seine Geige,
Dort spielt ein Mädchen mit seinen Puppen und
Da drüben eine Ameise mit seinem Blatt.
Alle sitzen auf ihrer Wolke, seien sie auch noch so klein oder gross, lang oder kurz.
Jeder Wunsch wird erfüllt und kommt einfach auf einer Wolke angeflogen.
Ruprecht denkt an Haargummis und schon fliegt eine Wolke voller Haargummis. Ruprecht kann sich eines aussuchen.
Das Bett kommt angeflogen, wenn Ruprecht müde ist, Essen und Trinken, wenn er Hunger oder Durst hat. Alles kommt auf einer Wolke daher,
Jeder Wunsch wird erfüllt!
Da kommen auf einer Wolke Gwendolyn und auf einer etwas grösseren Wolke Henry herangeschwebt.
Welche Freude!
Die drei Freunde sind wieder vereint im Himmel.
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