Nele bärenstark (Teil 1)
Kapitel 1
Heute!
«Alles zusammenpacken, wir ziehen um in ein neues Dorf, wir ziehen in ein neues Abenteuer!», ruft der Vater Ludwig.
Nele und ihr Bruder Fritz sind nicht so gut gelaunt und senken die Köpfe.
Heute heisst es Abschied nehmen von der vertrauten Umgebung, Abschied nehmen von Familie und Freunden.
Heute heisst es Aufbruch ins Ungewisse.
Zum Abschied winken Nele und ihr Bruder Fritz ihrer Familie und ihren Freunden zu, die am Strassenrand stehen. Auch Oma und Opa winken zum Abschied. «Bald besuchen wir euch!», ruft der Opa hinterher.
Ihr Vater Ludwig hat im 500 km entfernten Städtchen Vaduz eine neue Arbeit gefunden. Er ist Postbote.
Grund genug, dass nun die zehnjährige Nele und der achtjährige Fritz auf die neue Primarschule müssen.
Die Familie hat ein kleines Haus am Bach bezogen. Fürs Einräumen bleibt nicht viel Zeit, denn schon morgen ist der erste Schultag.
Doch wie ich jetzt bemerke, habe ich vergessen, euch die Beteiligten dieser Geschichte vorzustellen:
Lisa, die Mutter, ihres Zeichens fleissige Hausfrau und inoffizieller Chef der Familie.
Ludwig, der Vater, ist der angebliche Chef der Familie und als Postbeamter für das finanzielle Auskommen der Familie zuständig.
Fritz ist 8 Jahre und Nele bereits 10 Jahre. Beide können am Montag zum ersten Mal in die Primarschule Vaduz. Fritz, ein lieber Junge, besucht die zweite Klasse und Nele, grossgewachsen, Knoten im Haar und freches Lachen, die vierte.
Grossvater, 80 Jahre jung und pensioniert, liebtes, mit seinen Enkelkindern Mühle zu spielen.
Grossmutter, 65 Jahre jung, noch kein einziges weisses Haar in ihrem zu einem Knoten gebundenen Hügel oder Nest auf dem Kopf. Nele gefällt die Haarpracht der Oma, deshalb trägt sie deshalb ahmt sie mit ihrem Haarschnitt die Grossmutter nach.
Max, der Bandenführer, geht in die vierte Klasse.
Hugo und Paul sind die rechte und die linke Hand von Max.
Lina und Nina freunden sich bald mit Nele an.
Kapitel 2
Der erste Schultag steht vor der Türe. Nele und Fritz essen die letzten Krümel ihres Frühstücks, packen die Schultaschen und laufen los zur Schule.
Gleich am ersten Tag bemerken Nele und Fritz, wie sehr sie ihre Freunde vermissen.
Etwas schwermütig traben die beiden auf den Schulplatz.
Die beiden Neuankömmlinge bleiben wie angewurzelt stehen und können nicht glauben, was sie da sehen.
An dieser Schule herrschen raue Sitten.
Eine Jungenbande, angeführt von Max, terrorisiert die Mädchen nach Belieben.
Max schupft ein Mädchen so, dass es der Länge nach hinfällt. Ein anderer Junge nimmt ihre Tasche und klaubt das Pausenbrot heraus.
Mit der leeren Tasche wird nun gespielt. Wie einen Basketball werfen die Jungs sich gegenseitig die Tasche zu, bis Max sie zum Schluss im Korb versenkt.
Ja, zumindest versucht er es, denn die Tasche bleibt oben auf dem Korb hangen.
Max und seine Bande lachen und futtern das geraubte Pausenbrot.
All dies können Nele und Fritz beobachten.
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Doch bevor die Geschichte weitergeht, möchte ich euch doch noch das eine und das andere über Nele und Fritz erzählen:
Fritz ist ein kleiner Junge mit blondem Haar und blauen Augen. Er ist sehr liebenswert und stets ehrlich und anständig. Ja, man kann sagen, Fritz ist ein richtiger Musterschüler. Nele neckt ihn dann auch immer mit dem Wort «Streber!», wenn er die besseren Noten nachhause bringt.
Nele, seine um einen Kopf grössere Schwester, ist bärenstark. Ihre sehr wachen braunen und auch quirligen braunen Augen erfassen alles mit atemberaubender Geschwindigkeit. Der Schalk steht Nele ins Gesicht geschrieben. Ihre gewellten kastanienbraunen und langen Haare schwingen sich hoch und sind zu einem Vogelnest gebunden. Eine Holzgabel hält das Nest fest.
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Nele und Fritz winken sich noch kurz zu, denn ihre Klassenzimmer liegen nicht im selben Gebäude.
Nele betritt die Klasse.
Neugierige Blicke begleiten sie zu ihrem Platz hinter der Schulbank. Max, der zwei Reihen hinter Nele sitzt, beobachtet die Neue aufs Genaueste.
Auf einmal stehen Max und seine beiden Kumpel Paul und Hugo auf. Sie postieren sich neben die Bank, in der Nele sich für den Unterricht parat macht.
Max prustet: «Ah, die Neue. Her mit dem Pausenbrot, das gehört uns! Und damit es schon mal klar ist: Wen wir ansprechen, der muss aufstehen! Klar?»
Neles quirliger Blick streift Max. Ohne ein Wort zu sagen steht Nele auf und grinst, denn Nele steht da in voller Pracht. Mindestens einen Kopf grösser als Max, ohne das Vogelnest noch dazuzurechnen. Nele beginnt frech zu lachen, sodass Max eine Grimasse zieht und an seinen Platz zurückeilt.
Das hat gesessen. Nele erntet bewundernde Blicke, vor allem von den Mädchen.
Der Lehrer betritt das Klassenzimmer.
Die Buben links
Die Mädchen rechts
Kräfte messen links
Bücher lesen rechts
Fussballspielen links
Mit Puppen spielen rechts
Doch aufgepasst: Klischees ändern sich, denn hier kommt Nele bärenstark!
Nele hat knotet ihre Haare zu einem Vogelnest. Auch überragt sie mit ihrer Grösse jeden Buben der Klasse. So auch jetzt den fiesen Max.
Mädchen – Buben 1:0
Kapitel 3
In der Pause stecken die Mädchen die Köpfe zusammen. Das Pausenbrot können sie leider nicht essen, denn Max und seine Bande haben sich schon alle Brote gekrallt.
Nur Nele hat ihr Brot noch. Sie steht inmitten der Mädchenschar und beantwortet die Neugier, so gut sie kann. Ihre neugierigen Schulfreundinnen vergessen ihren Hunger, aber Nele teilt trotzdem ihr Pausenbrot mit ihnen.
Aus sicherer Distanz mustern Max und seine Leute die Gruppe um Nele. Spöttische Zurufe sind denn auch das einzige, was die fiesen Buben zustande bringen, denn die Neue hat schon einen ziemlichen Eindruck hinterlassen.
Wie kann man nur so gross sein!
«Habt ihr Hunger? Und du, Riesin und Vogelnest!», rufen die Buben.
Doch dieser Zeitvertreib wird irgendwann langweilig, und die Buben suchen sich eine andere Beschäftigung.
Max, Hugo und Paul stehen auf einer Linie und üben sich im Weitspucken. Nele beobachtet die spuckenden Jungs und tritt mutig in die Linie zwischen Paul und Max.
«Wer kann weiter spucken als ich, die Nele bärenstark?»
Auf diese Frage der erstaunten Buben gibt es natürlich nur eine Antwort:
«Max!»
Die Buben lassen sich das nicht zweimal bitten und sammeln die Spucke.
Umringt von Buben und Mädchen, spucken einer nach dem anderen drauflos. Max übertrifft alle.
Alle?
Nein, mit grossen Augen sehen sie zu, wie Nele noch weiter spuckt wie Max. Die Buben können es nicht glauben.
Nele beginnt frech zu lachen und streckt ihre Arme in die Höhe. Max, Hugo und Paul wollen sich gerade auf Nele stürzen, als die Glocke erklingt und alle zurück in ihre Klassen müssen.
Die Buben links
Die Mädchen rechts
Weit spucken links
Sich benehmen rechts
Fleisch essen links
Das farbige Gemüse essen rechts
Auf einer Linie stehen fünf Jungen und spucken weit. Max gewinnt und freut sich diebisch. Doch das Mädchen Nele tritt in die Bubenreihe und spuckt einen Meter weiter.
Mädchen – Buben 2:0
Kapitel 4
Grässlich! Was diese Buben-Bande alles so anrichtet. Nele ist gewarnt, denn ihre neu gewonnen Freundinnen erzählen ihr alles über die bösen Machenschaften der Jungs.
«Das muss sich jetzt ändern!», ruft Nele.
Die Schule ist aus. Nele steht neben Fritz und beobachtet schon von weitem, wie Max und sechs weitere Buben auf sie warten. «Die wollen mich in die Mangel nehmen», erklärt Nele ihrem Bruder. Die wissen noch nicht, dass du mein Bruder bist. Wir trennen uns hier und du läufst über einen anderen Weg nachhause!»
Fritz befolgt die Anweisung seiner grossen Schwester und trabt davon.
Unbeeindruckt läuft Nele auf die Bubenansammlung zu. Kurz davor nimmt Nele Anlauf und rennt pfeilschnell an den Buben vorbei. Die Buben sind überrascht und haben keine Chance, Nele zu ergreifen.
Nele blickt zurück und sieht die wütend schnaubende Bande wild gestikulieren.
Eine Kurve rechts, ein Anstieg links und schon verbinden sich die Wege. Fritz wartet bereits und zusammen können sie heimwärts laufen.
Glucksend erzählt Nele Fritz, was gerade eben passiert ist.
Wie geht die Geschichte weiter?
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